In beruflichen Veränderungssituationen haben Menschen häufig Angst vor der Ungewissheit.
Warum das so ist und woran Du erkennen kannst, ob Du betroffen bist, erfährst Du hier.
Im Alltag sind wir alle immer wieder mit Ungewissheit konfrontiert. „Ungewissheit ist eine Form des Unklaren, die sich auf unklare zukünftige Ereignisse oder Handlungsfolgen bezieht.“ (vgl. Nils Spitzer, Schritte ins Ungewisse, 2020, S.6).
Und mal ehrlich. Wer hat sich noch nie Fragen gestellt, wie: „Schaffe ich es mit den öffentlichen Verkehrsmitteln noch rechtzeitig zur Verabredung?“ „Wird mein Verein heute gewinnen?“ „Müsste ich für meine Kinder/mein Alter besser vorsorgen?“ Wir sind also tagtäglich und in allen Lebenslagen auf unterschiedliche Weise mit Ungewissheit konfrontiert. Während für die einen Ungewissheit ein Abenteuer sein kann, so ist sie für die anderen (eher) eine Bedrohung.
Kommt ein Mensch mit Ungewissheit nur schwer aus, sprechen wir von einer geringen Ungewissheitstoleranz. Dabei können schon geringfügige Ungewissheiten teils heftige Reaktionen und Gefühle wie Ängste und anhaltende Sorgen auslösen. Oder sie führen zu einem anstrengendem Vergewisserungsverhalten, bei dem bspw. durch das Einholen von möglichst vielen Informationen versucht wird, die Ungewissheit zu reduzieren (vgl. Nils Spitzer, 2020, S.18). Vergleichbar mit einer Allergie, wird eine geringe Ungewissheitstoleranz entweder durch Reduktion der Ungewissheit (Vermeidung, Kontrollversuche) oder durch Steigerung der Toleranz (Aushalten, Akzeptanz) „behandelt“. Das Problem: Ungewissheit lässt sich unabhängig der Kraftanstrengungen selten vollständig beseitigen.
So verhält es sich auch mit der Ungewissheit in der beruflichen Veränderung. Schon allein der Gedanke daran („Ist es richtig, mich zu verändern?“, „Was ist, wenn ich nichts finde?“, „Ist das Gras auf der anderen Seite wirklich grüner?“, „Werde ich im Bewerbungsgespräch überzeugen? Schaffe ich den Einstieg?“), kann bei Menschen, die grundsätzlich mit ungewissen Situationen ihre Schwierigkeiten haben, unterschiedliche Reaktionen auslösen (vgl. Nils Spitzer, 2020, S.76 ff):
Reaktionsmuster bei geringer Ungewissheitstoleranz
Annäherndes Vergewisserungsverhalten:
Insbesondere bei geringer Ungewissheitstoleranz wird gerne diese Strategie gewählt. Dazu gehören alle Handlungen, „[…], die angesichts einer ungewissen Situation dazu dienen, Sicherheit und Gewissheit zu erlangen.“ (vgl. Nils Spitzer, 2020, S.75 ff). Beobachtbar ist bspw. ein wiederholtes Absicherunsgverhalten (z.B. wiederholtes überprüfen der Verkehrsverbindung zum Interview), eine übertriebene Informationssuche (z.B. so viele Interviewfragen wie möglich vorbereiten), das exzessive und überdetaillierte Erstellen von Listen (z. B. Tracking der Bewerbungsaktivitäten), oder auch abergläubisches Verhalten
Vermeidendes Vergewisserungsverhalten:
Beim vermeidenden Vergewisserungsverhalten wird versucht, die Ungewissheit zu umgehen. Bei der direkten Vermeidung würde ein Mensch aufgrund der Ungewissheit des Ausgangs von Bewerbungsaktivitäten, erst gar keine Bewerbungen verschicken. Beim Prokrastinieren wird die Ungewissheit zwar nicht umgangen, dafür aber aufgeschoben und/oder in die Länge gezogen. Damit lässt sich sicherlich erklären, warum es Menschen schwerfällt, mit Blick auf die Bewerbungen „in die Gänge“ zu kommen. Agieren Menschen halbherzig, behalten sie sich einen Rest Gleichgültigkeit, oder schieben Erfolglosigkeit anderen oder den Umständen in die Schuhe. Aber auch impulsives Entscheiden zählt zum vermeidenden Vergewisserungsverhalten. Damit wird vermieden, die Verantwortung zu übernehmen, wenn etwas schiefgeht („Ich wollte mit der Bewerbung ja nur mal meinen Marktwert testen“). Auch mit der Einrichtung von starken Routinen wird der Ungewissheit etwas entgegengesetzt, was Sicherheit bietet (z.B. stoisches Festhalten am Sport, obwohl die Vorbereitung auf das anstehende Interview nicht abgeschlossen ist).
Und daran erkennst Du eine geringe Ungewissheitstoleranz
Menschen mit geringer Ungewissheitstoleranz haben folgende innere Überzeugungen entwickelt (vgl. Nils Spitzer, 2020, S.19 ff):
- „Gewissheit ist absolut notwendig“:
Menschen mit dieser Überzeugung haben ein sehr hohes Vergewisserungsverlangen und versuchen das Ungewisse durch Klarheit und Information zu beseitigen. In der beruflichen Veränderung kann das zur Folge haben, dass ein*e Bewerber*in vor einem Bewerbungsgespräch versucht, sich auf alle denkbaren Interviewfragen vorzubereiten. Bis zu einem gewissen Maße ist das sicherlich auch hilfreich. Gleichwohl ist klar, dass trotz gründlicher Befassung mit möglichen Interviewfragen dennoch offen bleibt, welche Fragen tatsächlich gestellt werden. - „Ungewissheit ist gefährlich“:
Ungewissheit wird hier als bedrohend empfunden. Bedroht sein kann in einer beruflichen Veränderung das eigene Sicherheitsgefühl, das persönliche Netzwerk, der Status, oder die finanzielle Situation. Die Gedanken können dabei schnell in Horrorszenarien münden („Wenn ich jetzt kündige, weiß ich nicht, ob ich gleich eine Anschlussbeschäftigung finde. Wenn ich die nicht finde, gerate ich in finanzielle Schwierigkeiten. Und dann kann ich die Hypothek nicht bezahlen.“). - „Ungewissheit ist belastend“:
Ungewissheit wird bei dieser Überzeugung als besonders anstrengend und kräftezehrend wahrgenommen. Gerade in beruflichen Übergangsphasen, beschreiben Menschen in meinem Beratungsalltag, diese Zeit als besonders belastend. Dann ist „das Alte“ nicht mehr gültig ist und „das Neue“ noch nicht (vollständig) da. - „Ungewissheit macht mich handlungsunfähig“:
Ungewissheit wirkt hier lähmend und Betroffene tendieren dazu, in die Passivität zu verfallen. Die Vorstellung beruht darauf, dass das eigene Handeln nur möglich ist, wenn klar ist, was kommt oder erwartbar ist. Der Gedanke, nicht zu wissen ob „in meinem Alter“, „mit meinem Profil“, oder „mit meinen Rahmenbedingungen“ überhaupt ein Markt besteht, kann Bewerbungsaktivitäten ausbremsen oder gar zum Erliegen bringen. Ungewissheit darüber, ob die eigenen Bewerbungsunterlagen überzeugend sind, kann dazu führen, dass diese erst gar nicht abgeschickt werden. Die angenommene Handlungsunfähigkeit verstärkt die Angst vor negativen Konsequenzen. - „In ungewisse Lebenssituationen zu geraten, wirft ein schlechtes Licht auf mich“:
Die Überzeugung lässt sich auf die gesellschaftliche Vorstellung zurückführen, dass es gut sei, das eigene Leben „im Griff“ bzw. „unter Kontrolle“ zu haben, auf jede Frage eine passende Antwort parat zu haben oder den nächsten beruflichen Schritt mindestens schon vorgedacht zu haben. Unklare Situationen („Ich weiß noch nicht genau, was ich nach meiner Kündigung mache“) sind dann schwer zu ertragen. - „Ungewissheit ist unfair“:
Selbst erfahrene Ungewissheit wird als ungerecht und unfair empfunden. Betroffene haben die Vorstellung, dass andere weniger Ungewissheit aushalten müssen („Die da oben haben bei der kommenden Restrukturierungsmaßnahme ihre Schäfchen ja sicher längst im Trockenen, während ich als normale*r Mitarbeiter*in schauen muss, wo ich bleibe.“). Das eigene Gewissheitsverlangen kann sich jetzt schnell an andere Personen richten: „Kann mir meine Führungskraft jetzt nicht mal klar sagen, was Sache ist und wie es jetzt weiter geht?“
Zu guter Letzt
Wir sollten nicht vergessen, dass das Ungewisse zu unserem Leben und Alltag dazugehört. Und nicht nur das: Es kann und darf auch Vergnügen bringen und seinen Reiz haben. Wie aufregend wäre bspw. dann noch ein Fußballspiel, dessen Ergebnis wir bereits kennen? Würden wir noch ins Kino gehen oder Serien schauen, wenn wir den Ausgang wissen?
Klar ist auch, dass der Mensch aufgrund seiner genetischen Disposition Sicherheit und Eindeutigkeit in aller Regel bevorzugen wird. Wenn Du Dich in der ein oder anderen eben vorgestellten Überzeugung wiederfindest, heißt das auch nicht automatisch, dass Du eine geringe Ungewissheitstoleranz hast. Dies könnte allerdings der Fall sein, wenn Du viele der skizzierten Überzeugungen (stark) verinnerlicht hast.
Wie gehst Du mit Ungewissheit um? Welche Erfahrungen hast Du gemacht? Was können wir von Dir lernen? Ich freue mich auf Deine Kommentare.
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