„Erwachsene sind oft mit beruflichen Prüfungen oder Zertifizierungen konfrontiert. Der Umgang mit berufsbezogener Prüfungsangst erfordert möglicherweise spezifische Kenntnisse und Fähigkeiten, die im Arbeitsumfeld relevant sind. Nicht selten werden von Erwachsenen Bewerbungsprozesse wie Prüfungen empfunden. Die Fähigkeit, positive Erfahrungen zu reflektieren und sie in den Kontext der Prüfung oder Bewerbung einzubeziehen, kann die Angst mindern.“

Patricia Kocherscheidt

Patricia Kocherscheidt

Prüfungsangst ist ein stressauslösendes Erlebnis, das durch die Furcht vor anstehenden Bewertungen entsteht. Dieser Zustand ist geprägt von Sorgen, körperlichen Reaktionen und Verhaltensmustern, die das Selbstvertrauen und die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen können. Wir kennen das (fast) alle: 9 von 10 Deutschen haben im Laufe Ihres Lebens Prüfungsangst erlebt. Im Kontext der beruflichen Veränderung bedeutet Prüfungsangst das Gefühl, überwältigt zu sein von der Angst, die eigenen Fähigkeiten und die Passung zum Unternehmen unter Beweis stellen zu müssen. So gesehen ist Prüfungsangst hochgradig relevant: Wenn bspw. das eigene Potenzial nicht überzeugend positioniert wird, eine Bewerbung aus Sorge vor Ablehnung nicht abgeschickt wird oder das Bewerbungsgespräch „gesundheitsbedingt“ kurzfristig abgesagt wird, kann sie faktisch einen negativen Einfluss auf die berufliche Entwicklung haben. Grund genug mit Patricia, Lead Coach Learning bei co-minds genau darüber zu sprechen.

Florian: „Liebe Patricia, Du bietest u.a. Menschen Unterstützung darin, ihren Lernprozess eigenverantwortlich zu steuern und die Selbstregulierung bzw. das eigenverantwortliche Lernen zu fördern. Zur Selbstregulierung gehört auch der Umgang mit Prüfungsangst. Woran kann ich den Unterschied zwischen Nervosität und Prüfungsangst erkennen?“

Patricia: „Als Faustregel gilt, dass Nervosität das Ergebnis der Prüfung nicht erheblich verschlechtern sollte. Ein bisschen Aufregung vor Prüfungen stellt eher etwas Gutes dar. Nervosität ist für Prüfungen hilfreich und sogar wünschenswert, weil das Gehirn besser durchblutet und dadurch aktiviert wird. Das erleichtert die Konzentration während der Prüfungssituation.

Es handelt sich um Prüfungsangst, wenn die Nervosität so sehr ausgeprägt ist, dass sie eine gute Prüfungsleistung stark beeinträchtigt und blockierend wirkt – denn häufig kann sich die Person mit Prüfungsangst auf nichts anderes als die eigene Angst konzentrieren. Das zu messen, ist für Außenstehende sehr schwierig. Ein guter Anhaltspunkt ist das Empfinden der jeweiligen Person. Selbst empfindet man vermutlich am besten, ob das Gefühl vor oder in einer Prüfung unangemessen, hinderlich und möglicherweise sogar angstauslösend ist.“

Florian: „Auf welche Weise unterscheiden sich Ansätze zur Bewältigung von Prüfungsangst zwischen Schülern und Erwachsenen?“

Patricia: „Die Bewältigung von Prüfungsangst kann je nach Alter und Entwicklungsstand in der Tat unterschiedlich sein. In beiden Altersgruppen ist eine positive Einstellung, Selbstkenntnis und die Fähigkeit, effektive Bewältigungsstrategien zu entwickeln, entscheidend für die Überwindung von Prüfungsangst.

Schüler sind oft auf elterliche Unterstützung angewiesen. Diese können dabei helfen, eine positive Einstellung zur Prüfung zu entwickeln und Strategien zur Stressbewältigung zu vermitteln. Auch Lehrer und Schulpsychologen spielen eine wichtige Rolle, indem sie Ressourcen und Unterstützung für schulische Prüfungen bereitstellen. Schüler sollten ihre Lernstrategien überprüfen und optimieren, um Prüfungsstress zu reduzieren. Effektive Lerngewohnheiten, Zeitmanagement und die Fähigkeit, Informationen zu organisieren, sind entscheidend. Auch kann bei jüngeren Lernenden positive Verstärkung durch beispielsweise Belohnungen oder Lob effektiv sein, um Selbstvertrauen aufzubauen und die Angst vor Prüfungen zu mindern.

Erwachsene sind oft mit beruflichen Prüfungen oder Zertifizierungen konfrontiert. Der Umgang mit berufsbezogener Prüfungsangst erfordert möglicherweise spezifische Kenntnisse und Fähigkeiten, die im Arbeitsumfeld relevant sind. Nicht selten werden von Erwachsenen Bewerbungsprozesse wie Prüfungen empfunden. Erwachsene haben normalerweise eine höher entwickelte Fähigkeit zur Selbstregulierung und Selbstreflexion und können auf ihre Lebenserfahrung und bisherige Erfolge zurückgreifen. Die Fähigkeit, positive Erfahrungen zu reflektieren und sie in den Kontext der Prüfung oder Bewerbung einzubeziehen, kann die Angst mindern.“

Florian: „Welche (grundsätzlichen) Ansätze bieten sich für einen guten Umgang mit der „Prüfungsangst“ in der beruflichen Veränderung an, wenn z.B. ein wichtiger Interviewtermin immer näher rückt oder das Gespräch unmittelbar eröffnet wird?“

Patricia: „Der Umgang mit Prüfungsangst in beruflichen Veränderungssituationen, wie einem wichtigen Interviewtermin, erfordert eine sorgfältige Vorbereitung und den Einsatz verschiedener Handlungsalternativen bzw. -strategien, von denen ich im Folgenden die für meine Klienten meist wichtigsten skizziere:

  • Beginnen Sie rechtzeitig mit der Vorbereitung auf das Interview. Frühzeitige Beschäftigung mit möglichen Fragen und Antworten kann das Selbstvertrauen stärken.
  • Reflektieren Sie Ihre beruflichen Erfahrungen, Fähigkeiten und Erfolge. Eine klare Vorstellung von Ihren eigenen Stärken und Leistungen kann dazu beitragen, Selbstvertrauen aufzubauen.
  • Informieren Sie sich über das Unternehmen und die Position, für die Sie sich bewerben. Je mehr Sie darüber wissen, desto besser können Sie im Interview überzeugen und werden nicht von Fragen überrascht.
  • Führen Sie Übungsinterviews mit Freunden, Familie oder einem Karriereberater durch. Dies hilft nicht nur, Antworten zu verfeinern, sondern ermöglicht es auch, sich an den Interviewprozess zu gewöhnen.
  • Entwickeln Sie persönliche Bewältigungsstrategien, um mit Prüfungsangst umzugehen. Atemtechniken, Visualisierung oder positive Selbstgespräche können vor und in Stresssituationen unterstützen.
  • Versuchen Sie eine positive Einstellung zu bewahren. Betrachten Sie das Interview nicht nur als Prüfung, sondern als Gelegenheit, Ihre Fähigkeiten und Erfahrungen zu präsentieren.
  • Erstellen Sie eine Liste von Fragen, die Sie dem Interviewer stellen möchten. Dies zeigt nicht nur Ihr Interesse am Unternehmen, sondern gibt Ihnen auch Kontrolle über den Interviewprozess.
  • Wählen Sie passende Kleidung für das Interview aus, die zu der Unternehmenskultur passt. Wichtig ist, dass Sie sich in der Kleidung wohlfühlen. Mein Tipp: Prüfen Sie die Kleidung nicht erst am Tag des Interviews auf Sauberkeit! Sollten Sie dann einen Fleck entdecken, wird unnötiger Stress ausgelöst.
  • Achten Sie auf ausreichend Schlaf, eine gesunde Ernährung und regelmäßige körperliche Aktivität. Eine gute körperliche Verfassung wirkt sich auch positiv auf die mentale Verfassung aus. Auch am Tag des Interviews sollten Sie ausreichend Wasser trinken und gut Frühstücken. Denn das Gehirn braucht Energie, um gut funktionieren zu können.“

Florian: „Welche Unterstützung kann das Umfeld jemandem mit Prüfungsangst bieten (z.B. Partner)?“

Patricia: „Mit Blick auf Schüler hatten wir vorhin bereits die Eltern als wichtige Ressource angesprochen. Im Bewerbungsprozess von Schulabgehenden, Studierenden oder bereits berufstätigen Personen können insbesondere der Partner oder die Partnerin sowie weitere Familienmitglieder oder Personen aus dem Freundeskreis emotional unterstützen. Sie können Verständnis und Mitgefühl zeigen und die Bewerberin oder den Bewerber bestärken über die Ängste zu sprechen, ohne sie zu beurteilen. Manchmal hilft es schon, aktiv zuzuhören, so dass sich der Betroffene gehört und verstanden fühlt. Da eine enge Bezugsperson die Stärken gut kennt, sollte sie ermutigen auf Stärken und Erfolge zu fokussieren. Das enge soziale Umfeld kann helfen, in dem durch gemeinsame geplante Aktivitäten, die Entspannung und Abwechslung bieten, Stress abgebaut und Energie aufgeladen wird. Es kann sich des Weiteren für Probeinterviews zur Verfügung stellen.

Es ist wichtig zu betonen, dass jede Person unterschiedliche Bedürfnisse hat. Manche Menschen bevorzugen vielleicht mehr Raum für sich, während andere aktivere Unterstützung schätzen.“

Florian: „Auf was kann man sich bei der Begleitung einstellen, wenn man seine Prüfungsangst mit Hilfe eines Lerncoaches ablegen möchte?“

Patricia: „Der Coaching Prozess richtet sich nach den persönlichen und individuellen Bedürfnissen des Klienten, wobei dieser die Intensität und Frequenz der Coaching Sitzungen festlegt. Im Vorfeld eines jeden Coaching Prozesses erfolgt ein unverbindliches Kennenlerngespräch, in welchem die Fragen des Klienten rund um den Coaching Prozess geklärt werden und der Coach erste Informationen über das Anliegen des Klienten erhält.

In der ersten Sitzung erfolgt dann zu Beginn eine weitere Analyse der Prüfungsangst. Es wird darüber gesprochen, welche spezifischen Ängste und Bedenken im Zusammenhang mit Prüfungen bestehen. Dies könnte das Verständnis der Prüfungsinhalte, Zeitmanagement, Selbstvertrauen oder andere Faktoren betreffen. Nicht selten haben Betroffenen mehr Angst vor dem häufig mit der Prüfung verbundenen Veränderung im Leben als vor der eigentlichen Prüfung selbst. Dies ist auch bei Bewerbern um neue Jobs zu beobachten.

Im nächsten Schritt wird erarbeitet, was sich verändern soll und welches Ziel verfolgt wird. Auch wenn im Rahmen des Coachings über die zum Ziel im Widerspruch stehenden Beweggründe, Motive, Emotionen, Wertvorstellungen, inneren Überzeugungen und Prinzipien gesprochen wird, steht im Lerncoaching eine Herausarbeitung der Stärken des Klienten im Mittelpunkt. Ein wichtiger Bestandteil der Zusammenarbeit mit einem Lerncoach ist die Selbstreflexion. Der Coach kann dazu ermutigen, die eigenen Denkmuster und Überzeugungen in Bezug auf Prüfungen zu hinterfragen und positive Denkweisen zu fördern. Um den Lösungsweg sicher beschreiten zu können, werden mit Unterstützung des Lerncoaches konkrete Handlungsschritte zur Erreichung des klar formulierten und terminierten Zieles mit Hilfe eines ressourcen- und lösungsorientierten Ansatzes erarbeitet. Die formulierten Ziele und Lösungen sind dann häufig Teil einer langfristigen Strategie, damit auch zukünftige Prüfungen besser bewältigt werden können.“

Florian: „Vielen herzlichen Dank, liebe Patricia. Du hast mir heute nicht nur spannende Einblicke in das Thema Prüfungsangst geschenkt, sondern auch zahlreiche Tipps und Ideen für einen guten Umgang mitgegeben. Ich nehme mit, dass Prüfungsangst „ok“ und sogar „normal“ ist. Sie kann uns nicht nur in jungen Jahren, sondern auch im Erwachsenenalter begegnen – so auch in der beruflichen Orientierung und Veränderung. Und ich nehme mit: Man kann was tun. Wer sich aktiv mit Sorgen und Ängsten auseinandersetzt, ist bereits auf einem guten Weg. Und wenn alle Stricke reißen gibt es Menschen wie Dich, die individuell begleiten und professionell unterstützen.“

Quellen:

https://www.iu.de/news/studie-pruefungsangst-kann-sich-massiv-auf-karriere-auswirken/#:~:text=Fast%20jede%3Ar%20hatte%20schon,Schule%20oder%20des%20Studiums%20auf [aufgerufen am 13.11.2023, 21:49 Uhr)

Zur Person:

LinkedIn Profil: [Patricia Kocherscheidt]

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