„Nicht ‚Hard-Selling‘, sondern ‚Heart Listening‘ lautet die Devise!“

Simon Lühr

In einer Welt, in der der Erfolg oft durch Umsatzzahlen und Gewinnmargen gemessen wird, rücken ethische Prinzipien manchmal in den Hintergrund. Das kann zu inneren Konflikten und inneren Spannungszuständen führen, die erfahrungsgemäß auch in der Überlegung münden, nicht nur die Firma, sondern gleich den Job zu wechseln. Das gilt auch für den Vertrieb als solches, der es sich mit Blick auf den Arbeitsmarkt aber vermutlich gar nicht leisten kann. Rein rechnerisch konnten im Jahr 2020 drei von 10 Vertriebsstellen nicht besetzt werden*. Das sind immerhin stolze 30%. Willkommen im sogenannten Arbeitnehmermarkt. Doch es gibt Menschen, die beweisen, dass Vertrieb und Ethik durchaus Hand in Hand gehen können. Darüber habe ich mit Simon gesprochen.

Florian: „Simon, Du bist Trainer für ethischen Vertrieb und Co-Founder von Sales4Good.org – das ist ein Freelancer Netzwerk aus Vertriebsexpert*innen mit der Mission, Vertrieb/Sales von unethischem Verhalten zu befreien. Damit hat man schon eine grobe Idee, mit was Du Dich beschäftigst. Aber was heißt das genau und wie bist Du zum Thema gekommen?“

Simon: „Mein Weg zu Sales4Good ist Ergebnis längeren Strebens für ein besseres ökonomisches und gesellschaftliches Miteinander, mit vielen Versuchen, Erfolgen und auch Rückschlägen. Bereits im Geographie-Studium wurde ich intensiv auf die Verflechtung von Globalisierung, Klimawandel, Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung gestoßen. Gleichzeitig hatte ich ein gewisses Streben nach Erfolg und materiellem Reichtum in mir, was bei der Abwägung meines ersten richtigen Jobs die Oberhand gewann. Also startete ich meine Karriere in der IT und Beratungsbranche als Vertriebler.
Zunächst beim ‚Box-Pushing‘ via Tele-Vertrieb, dann zunehmend vor Ort beim Kunden. Auch wenn mir der Vertriebserfolg recht gab, keimte eine immer größer werdende Unzufriedenheit auf. Im Spannungsfeld zu meiner Persönlichkeitsentwicklung welche stark von Philosophie und Meditation geprägt war, verhalf ich gleichzeitig Unternehmen zum Erfolg, die ganz klar rein dem Zweck der Gewinnmaximierung dienten. Im Ringen um meine Werte musste ich wahrnehmen, wie diese Motive auch in mir immer mehr Raum einnahmen. Ich erkannte, dass Teile meines Verkaufserfolgs auf Methoden klassischer Vertriebskonzepte beruhten und unethische Aspekte wie Manipulation und Druck enthielten:

  1. Hard Selling (Unsicherheiten abbügeln)
  2. Neuro Selling (Unsicherheiten emotional auflösen)
  3. Solution Selling (Unsicherheiten rational auflösen)

Immer die Worte einer ehemaligen Kollegin im Ohr ‚einmal Vertrieb immer Vertrieb‘ wähnte ich mich zunehmend in einer aussichtslosen Situation, bis ich dann nach 10 Jahren den Ausstieg wagte, ohne genau zu wissen, wo die Reise hinging. In einem Meditations-Retreat entstand der wundervolle Gedanke Achtsamkeit und Ethik mit der Vertriebspraxis zu verbinden. Von dieser Idee begeistert, fielen mir Texte zur Wirtschaftsethik und ethischem Vertrieb in die Hände. Plötzlich erweiterte sich das Spektrum der Vertriebskonzepte um ‚4. Ethischer Vertrieb (Unsicherheiten zulassen)‘. Bei meinen weiteren Recherchen entdeckte ich meine heutige Geschäftspartnerin Andrea Mörike mit Sales4Good. Nach vielen spannenden Gesprächen mit Andrea und noch mehr Vorbereitung bin ich nun endlich als Trainer für ethischen Vertrieb tätig.“

Florian: „Welche Werte sind Dir persönlich im Vertrieb wichtig?“

Simon: „Vielen ist nicht bewusst welche gestalterische Funktion man als Verkäufer hat. Röpke* sagte, dass der Konsument mit dem Geldschein über die vielen Warenparteien abstimmt. Nachhaltige Konsumentscheidungen setzten aber mündige Konsumenten voraus welche sich nicht durch Manipulation von ihren intrinsischen, menschlichen Werten ablenken lassen. Ein erfolgreicher Verkäufer hat also einen signifikanten Anteil an den Dingen die sich in unserer Umwelt manifestieren. Jeder SUV, jede Tasche, jedes Softwareunternehmen ist Ergebnis von Kaufentscheidungen. Mir als Verkäufer ist es wichtig, mich meiner Rolle im Stoffstrom bewusst zu sein. Das bedeutet: Welche Rolle spiele ich und die Organisation, für die ich tätig bin, in der Welt? Welche Rohstoffe, Vorprodukte verarbeiten wir und welchen Menschen bzw. Organisationen helfen wir mit unseren Produkten erfolgreicher zu sein? Diese Rolle muss in Resonanz zu meinen inneren Werten stehen. Dies ist für mich eine wesentliche Grundlage im ethischen Vertrieb. Darüber hinaus kommen Werte wie Achtsamkeit, Transparenz und Geber-Mentalität zum Tragen. Nicht ‚Hard-Selling‘ sondern ‚Heart Listening‘ lautet die Devise!“

Florian: „Welche Herausforderungen siehst Du im traditionellen Vertrieb, denen möglicherweise ethische Bedenken entgegenstehen?“

Simon: „Meistens beginnt es bereits bei der Vertriebsstrategie. Welche KPIs werden angesetzt, um Erfolg zu messen? Wie incentiviere ich die Menschen im Vertrieb? Und natürlich auch, welche Kriterien lege ich bei dem Recruiting der Vertriebsmannschaft an? Tatsächlich habe ich bisher in Stellenanzeigen niemals Begriffe wie „Achtsamkeit“ und „Geber-Mindset“ wohl aber „Durchsetzungsstärke“ und „Verhandlungsgeschick“ gefunden. Da wird schnell klar, wessen Interessen hier vertreten werden. Auf dieses Fundament aufsetzend, geht es dann in Akquisition und Kundengespräch hinter der zugewandten, freundlichen Fassade doch um den eigenen Vorteil und Profit. Solche Kundenbeziehungen bleiben oberflächlich und sind natürlich äußerst fragil.“

Florian: „Glaubst Du, dass es möglich ist, ethische Prinzipien in jedem Vertriebsjob umzusetzen, unabhängig von der Branche oder den Produkten, die verkauft werden?“

Simon: „Wohl kaum. Ethisches Verkaufen ist so stark mit den inneren Werten des Verkäufers verwoben, dass ich aus meiner Überzeugung vom Guten im Menschen ausschließen muss, dass ein ethischer Verkäufer langfristig in einer „unethischen“ Branche wirken kann. Allerdings ist es natürlich auch möglich, durch ethischen Verkauf die Organisation von innen heraus zu verändern. Dies gehört dann aber schon fast in die Ecke „Ziviler Ungehorsam ;-)“

Florian: „Was rätst Du Vertriebsmitarbeitenden, die unsicher sind, ob der Job ‚Vertrieb‘ zu ihnen passt?“

Simon: „Um sich im Vertrieb wohlzufühlen, ist es eigentlich nur wichtig den Austausch und Umgang mit Menschen zu mögen. Und ja, das ist auch bei introvertierten Menschen möglich. Ihre Stärken im Vertrieb sind einfach anders einzusetzen als bei Extrovertierten – welche das klassische Bild eines Vertrieblers zeichnen. Vertriebsskills helfen in vielen beruflichen und privaten Bereichen. Im Vertrieb zu Arbeiten heißt auch lebenslanges Lernen und ein großes Augenmerk auf die eigene Persönlichkeitsentwicklung zu legen. Ich denke hier an Schulung der Achtsamkeit, um die Wünsche, Ziele und Motive meiner Mitmenschen bzw. Kunden besser zu ergründen oder die Verbesserungen der Kommunikationsfähigkeiten – z. B. im Rahmen von ‚GFK – Gewaltfreier Kommunikation‘.

Es hilft sich zu hinterfragen, welche Gründe einem zum Zweifeln bringen. In unserer zunehmend werteorientierten Gesellschaft und den teils negativen Image von Verkäufern ist „Leaving Sales“ ein großes Thema. Getreu dem Motto ‚Love it, Leave it, Change it‘ würde ich konkret folgendes empfehlen:

  • Love it: Du kannst Dich grundsätzlich mit der Organisation und den Produkten identifizieren. Dann könnte Dir ein ethischer Vertriebsansatz helfen, Dich in Deiner Rolle neu zu definieren und die Vertriebsarbeit erfüllender zu gestalten. Deine Wirkung entfaltet sich in Deinem Team, der Firma und Deinen Kunden. Du wirst zum aktiven Gestalter.
  • Leave it: Wenn Du Dich nicht mit den Produkten und/oder der Organisation identifizieren kannst – LAUF – wenn Du es Dir irgendwie leisten kannst. Eventuell bedeutet das, Veränderungen an Deinem Lebensstil vorzunehmen. Mit einem Lächeln zu Dir selbst und der neu gewonnenen, selbst bestimmten Freiheit wird Dir bald auffallen, dass dieser Tausch mehr als fair ist. Es gibt so viele tolle Organisationen, Teams und Menschen, die dringend Vertriebsprofis brauchen, um ihre guten Ideen erfolgreich in den Markt zu bringen. Mit ethischen Verkaufspraktiken gelingen leichtere und tiefere Kunden- und Kollegenbeziehungen.
  • Change it: Ideen verbreiten, Menschen verstehen und begeistern ist nicht nur etwas für Verkäufer. Mit Deiner Erfahrung bist Du auch z. B. als Projektmanager, Fundsraiser oder Produktmanager wertvoll für Unternehmen. Übrigens, was den meisten Gründern und Selbstständigen fehlt und woran sie scheitern, sind Vertriebsskills. Also, vielleicht hast Du auch eine gute Idee, um Dein eigenes Ding zu machen!“

Florian: „Vielen lieben Dank für das persönliche und inspirierende Gespräch. Für mich wird deutlich, wie wichtig die Elemente Empathie und Zuhören für den ethischen Vertrieb sind und dass dieser damit beginnen muss, sich die eigenen Werte überhaupt mal bewusst zu machen. Sollten sich dabei Wertekonflikte mit der Organisationskultur offenbaren, hast Du Handlungsspielräume aufgezeigt. Und wenn der Gedanke an einen Job- oder Branchenwechsel Unwohlsein auslöst, hilft im ersten Schritt ‚Vordenken‘. Nur mal angenommen, ich würde die Branche oder den Job wechseln: Auf was würde ich bei einem nächsten Arbeitgeber besonders achten? Wie könnte ein passender nächster Job überhaupt aussehen? So kann auch der berufliche Teil unseres Lebens aktiv gestaltet werden.“

*Wilhelm Röpke (1899-1966, Wirtschaftswissenschaftler)

Zur Person:

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