„Bei dem Bewerbermarkt, den wir zweifelsohne aktuell in den allermeisten Bereichen haben, spielt die Unternehmenskultur meines Erachtens nach, eine große Rolle. Wenn Bewerber die Wahl haben, für wen sie arbeiten, dann werden sie sich m.E. (bei ähnlicher Bezahlung) für den Arbeitgeber entscheiden, bei dem sie sich wohlfühlen.“

Derzeit wird in den (sozialen) Medien über den sogenannten „Bewerbermarkt“ diskutiert. Darunter wird landläufig ein Arbeitsmarkt verstanden, bei dem sich Unternehmen im Grundsatz bei Kandidat*innen bewerben müssen. Dies führt meiner Wahrnehmung nach zu unterschiedlichen Problemen auf beiden Seiten. Während Unternehmen bei der Personalentscheidung weniger „Auswahl“ haben oder Stellen unbesetzt bleiben, können auf Seite der Bewerber*innen Entscheidungsprobleme entstehen (z.B. das „richtige“ Angebot anzunehmen). Unbenommen dessen, dass dieser Trend nicht auf alle Branchen und Jobs zutreffen mag: Könnte die „Corporate Culture“ (=Unternehmenskultur) ein Thema sein, das Unternehmen und Jobsuchende verstärkt in den Blick nehmen sollten? Darüber spreche ich mit Maria, Partnerin bei der Unternehmensberatung torus3.

Florian: „Maria, Du bist Partnerin bei torus3, Executive Coach und HR-Expertin für innovative Personalarbeit in den Bereichen Recruiting und Talent Development. Du begleitest unter anderem Arbeitgeber*innen bei der Analyse, Stärkung oder auch Anpassung ihrer „Coporate Culture“ (=Unternehmenskultur). Was verstehst Du unter „Corporate Culture“ konkret und inwiefern tun Arbeitgeber*innen gut daran, sich dem Thema zu widmen?“

Maria: „Vielen Dank für diese Frage und die Einladung zum Gespräch, Florian. Corporate Culture ist für mich die Gesamtheit/Summe der gelebten Werte in einem Unternehmen. Das, was man erlebt und fühlt, wenn man in einem Unternehmen ist. Die meisten Unternehmen haben Ihre Unternehmenswerte ja auch veröffentlicht. Und natürlich ist es richtig, bzw. notwendig, sich darüber Gedanken zu machen, für welche Werte man als Unternehmen stehen möchte und diese dann auch zu kommunizieren. Nur machen aufgeschriebene Werte eben noch keine Unternehmenskultur aus. Diese entsteht erst durch das Leben dieser Werte. Bei dem Bewerbermarkt, den wir zweifelsohne aktuell in den allermeisten Bereichen haben, spielt gerade die Unternehmenskultur meines Erachtens eine große Rolle und Arbeitgeber täten gut daran, in diesem Bereich noch aktiver zu werden. Denn wenn Bewerber die Wahl haben, für wen sie arbeiten, dann werden sie sich m.E. (bei ähnlicher Bezahlung) für den Arbeitgeber entscheiden, bei dem sie sich wohlfühlen. Und Wohlfühlen ist dabei natürlich sehr subjektiv. Für den einen ist ein lockeres Betriebsklima entscheiden, der andere bevorzugt eher eine leistungsorientierte Kultur. Ein weiterer legt großen Wert auf Weiterbildung und Aufstiegschancen, für den nächsten ist Sicherheit am wichtigsten oder flexible Arbeitszeiten. Der eine braucht Kollegen um sich herum, der andere möchte lieber von zu Hause aus arbeiten, usw. Ich habe oft den Eindruck, dass die Unternehmen schon wissen, was aktuell gefragt ist und dann eben auf diesen Zug aufspringen… aber das sind oft nur Lippenbekenntnisse. Wenn z.B. Diversity groß auf der Homepage des Unternehmens beworben wird und dann alle Interviewpartner ungefähr im gleichen Alter, vom gleichen Geschlecht und kulturellem Hintergrund sind, würde ich als Bewerber schon etwas skeptisch werden (und dem Unternehmen würde ich raten, das Thema offen als Problem anzusprechen und z.B. „Diversity“ eher als Ziel, denn als „Zustand“ definieren). Oder wenn flexible Arbeitszeiten angeboten werden, aber Teambesprechungen immer nachmittags /abends abgehalten werden. Da gibt es unendlich viele Beispiele.

Auf der anderen Seite bedeutet das gleichwohl, dass ich mich als Unternehmen mit meiner Corporate Culture auch bewusst vom Wettbewerber absetzen kann. Dafür muss ich mir meiner Unternehmenskultur aber bewusst sein, sie sollte im Unternehmen authentisch gelebt werden und dann im Recruiting / Employer Branding aktiv genutzt werden. Das spüren Bewerber und übrigens auch Mitarbeiter.

Florian: „Woran kann ich als Bewerber*in Corporate Culture festmachen, erleben oder ableiten, wenn ich mich für ein bestimmtes Unternehmen interessiere?“

Maria: „Da würde ich als Bewerber immer meinem Bauchgefühl folgen – allerdings erst, nachdem ich mir auch dafür etwas Zeit für Selbstreflexion genommen habe. So im Sinne „was ist mir wichtig und was brauche ich, um mich wohlzufühlen?“. Wenn ich meinen eigenen Wertekanon kenne, kann ich den relativ leicht mit der Unternehmenskultur des potenziellen Arbeitgebers abgleichen. Zum Beispiel, indem ich beobachte, wie sich das Unternehmen auf der Homepage und in den sozialen Medien darstellt und wie es bewertet wird (z.B. auf kununu oder anderen Bewertungsplattformen). Idealerweise bestehen sogar Kontakte, über die man mehr über die Unternehmens- und Arbeitskultur in der Praxis erfahren kann.

Und dann die entscheidende Frage: Erlebe ich diese Kultur dann auch beim Bewerbungsprozess? Wie wird mit mir kommuniziert? Wie gehen die Interviewpartner miteinander um? Was für eine Atmosphäre herrscht im Büro, am Empfang oder auf den Fluren?

Wenn das stimmig ist und ich ein gutes Bauchgefühl habe, dann gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Corporate Culture dieses Unternehmen auch zu mir passt (und ich zu ihr).“

Florian: „Und woher weiß ich als Bewerber*in, welche Corporate Culture gut zu mir passt? Kann ich das vielleicht sogar überprüfen?“

Maria: „Um zu wissen, welche Unternehmenskultur gut zu mir passt, ist es erstmal wichtig, den eigenen Wertekanon zu kennen. Und da haben die meisten Menschen erfahrungsgemäß schon Probleme. Es ist gar nicht so nicht einfach zu sagen, welche Werte mir in welcher Reihenfolge wichtig sind. Auf den ersten Blick sind meistens alle/viele Motivatoren gleich wichtig. Wenn man sich aber intensiv damit beschäftigt, ergibt sich immer eine Priorisierung. Mit meinen Coaching-Klienten arbeite ich diese in der Regel relativ am Anfang unserer Zusammenarbeit heraus. Oft kommt dabei heraus, dass z.B. Profitstreben weniger wichtig ist als Anerkennung. Natürlich will so ein Klient auch leistungsgereicht bezahlt werden, aber über Feedback & Lob kann man ihn/ sie viel mehr motivieren als über eine kleine Gehaltserhöhung. Wenn ich weiß, was mir wichtig ist und in welchem Umfeld ich arbeiten möchte, kann ich diese Werte den Unternehmenswerten gegenüberstellen. Dabei kommt meistens das Gleiche heraus, was mir mein Bauchgefühl schon versucht hat zu sagen. Spätestens vor Ablauf der Probezeit (die gilt nämlich durchaus für beide Seiten) sollte ich mir dann die Zeit nehmen und nochmal reflektieren, ob sich meine Vorstellungen auch wirklich realisiert haben. Da berufliche Trennungen immer schwierig sind und oft auch als persönliches Scheitern empfunden werden, rate ich Bewerbern unbedingt dazu, sich im Bewerbungsprozess die Unternehmenskultur des potenziellen Arbeitgebers genauer anzuschauen.

Besonders wichtige Aspekte einer passenden Unternehmenskultur kann ich als Kandidat auch im Auswahlverfahren abprüfen und geeignete Fragen stellen (z.B. „Wie gehen Sie mit Konflikten typischerweise um? Woran erkennen Sie Talente? Auf welcher Basis werden Beförderungen entschieden? Wie werden Meinungsverschiedenheiten gelöst?“

Gerade in kulturellen Differenzen liegen nach meiner Erfahrung deutlich häufiger die eigentlichen Gründe für Trennungen und weniger im fachlichen Bereich. Wer sich hier gut vorbereitet (und dass gilt für beide Seiten) erlebt seltener unangenehme Überraschungen.“

Florian: „Vielen herzlichen Dank für das Gespräch, liebe Maria. Darin unterstreichst Du, wie wichtig es ist, sich der eigenen Wünsche hinsichtlich einer passenden Unternehmens- und Arbeitskultur bewusst zu sein. Damit können kulturelle Aspekte auch ein wichtiger Filter bei der Stellensuche sein. Wer mehr als eine Zusage hat, kann kulturelle Aspekte in die Entscheidungsfindung mit einbeziehen. So gelingen berufliche Entscheidungen, die nachhaltig sind.“

Zur Person:

Kontakt: Maria Rückbrodt auf [LinkedIn]

Webpage: www.torus3.com

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